Liebe Pferdefreunde,
Die Idee, ein Pferd das ganze Jahr über auf der Weide zu halten, wird von vielen Pferdebesitzern als natürlicher und pferdefreundlicher Ansatz angesehen. Doch bevor Du Dein Pferd für den 24-Stunden-Weidegang anmeldest, solltest Du sicherstellen, dass es dafür bereit ist. Jeder Aspekt – von Alter und Gesundheitszustand über die soziale Integration bis hin zur richtigen Pflege – muss berücksichtigt werden. In diesem Artikel erfährst Du, wie Du erkennst, ob Dein Pferd für den ganzjährigen Weidegang geeignet ist und worauf Du achten musst, um das Wohlbefinden Deines Pferdes zu sichern.
Junge Pferde – Anpassung leicht gemacht
Junge Pferde haben oft die besten Voraussetzungen, um sich problemlos an den ganzjährigen Weidegang zu gewöhnen. Ihre hohe Anpassungsfähigkeit, ihre Neugier und die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, machen sie zu idealen Kandidaten für die Weidehaltung. Junge Pferde profitieren von der stetigen Bewegung, die ihre Muskeln und Gelenke stärkt, und entwickeln gleichzeitig gesunde soziale Bindungen zu ihren Artgenossen.
Wenn Dein Pferd bereits in jungen Jahren längere Zeit auf der Weide verbracht hat, wird es sich wahrscheinlich schnell wieder daran erinnern. Die Erfahrung, auf der Weide zu leben, bleibt tief in ihrem Gedächtnis verankert und erleichtert eine Rückkehr zu dieser Lebensweise. Dennoch ist es wichtig, dass junge Pferde in regelmäßigen Abständen überprüft werden, um sicherzustellen, dass sie sich auch wirklich gut anpassen und keine gesundheitlichen oder sozialen Probleme auftreten.
Ältere Pferde – Besondere Rücksicht und Vorsicht
Für ältere Pferde stellt der Übergang zu einem ganzjährigen Weidegang eine größere Herausforderung dar. Besonders dann, wenn sie ihr ganzes Leben in einer Box gelebt haben. Ältere Pferde haben oft bereits gesundheitliche Beschwerden wie Gelenkprobleme oder eine geschwächte Immunabwehr, was die Anpassung erschweren kann. Zudem kann der soziale Stress durch eine neue Herde bei ihnen stärker ausfallen als bei jüngeren Pferden.
Es ist von größter Bedeutung, ältere Pferde schrittweise an die Weidehaltung zu gewöhnen. Hierbei spielt die Beobachtung eine entscheidende Rolle: Zeigt Dein Pferd Anzeichen von Unwohlsein oder Stress, wie Appetitlosigkeit, Unruhe oder vermehrtes Liegen? Diese Symptome deuten darauf hin, dass Dein Pferd mehr Zeit benötigt, um sich an die neuen Bedingungen zu gewöhnen. Eine langsame Eingewöhnung ist unerlässlich, und regelmäßige tierärztliche Untersuchungen sind Pflicht, um sicherzustellen, dass der Weidegang die Gesundheit nicht gefährdet.
Der Gesundheitszustand – Ein Schlüssel zum Weideerfolg
Der gesundheitliche Zustand Deines Pferdes ist der wichtigste Faktor bei der Entscheidung, ob es für den 24-Stunden-Weidegang geeignet ist. Chronische Krankheiten, Atemwegsprobleme oder Gelenkbeschwerden können durch die ständige Freilandhaltung verschlimmert werden. Besonders feuchtes und kaltes Wetter kann sich negativ auf Pferde mit Arthritis auswirken, während Staub und Pollen Atembeschwerden verschlimmern können.
Es ist entscheidend, dass Du das Gesundheitsniveau Deines Pferdes realistisch einschätzt und regelmäßig kontrollierst. Die richtige Pflege, Überwachung und Fütterung spielen dabei eine zentrale Rolle. Pferde, die ihr Leben lang in einer Box gehalten wurden, sind oft an einen festen Fütterungsrhythmus gewöhnt. Auf der Weide hingegen kann es schwieriger sein, sicherzustellen, dass sie die richtige Menge an Nahrung zu sich nehmen. Hier ist es wichtig, die Fütterung engmaschig zu überwachen und bei Bedarf zu ergänzen, um Mangelernährung zu vermeiden.
Soziale Integration – Der Umgang mit der Herde
Pferde sind soziale Tiere, und das Leben in einer Herde bietet viele Vorteile. Das Zusammensein mit anderen Pferden fördert das emotionale Wohlbefinden, da Pferde ihre sozialen Bindungen ausleben können. Auf der Weide können sie sich frei bewegen, Kontakte knüpfen und sich im natürlichen sozialen Gefüge integrieren.
Für ältere Pferde oder solche, die lange isoliert in einer Box lebten, kann die Integration in eine Herde jedoch eine große Herausforderung darstellen. Hier ist es wichtig, aufmerksam zu beobachten, wie sich Dein Pferd in die Gruppe einfügt. Pferde, die schwächer oder weniger durchsetzungsfähig sind, könnten unter sozialen Spannungen leiden oder sogar verletzt werden. In solchen Fällen ist es ratsam, ältere Pferde in kleineren, stabileren Herden zu halten oder auf spezialisierte Altersweiden zurückzugreifen, wo die Tiere ähnliche Bedürfnisse haben und weniger Stress ausgesetzt sind.
Ist das Verhalten von Pferden vorhersehbar?
Eine der größten Unsicherheiten, die viele Pferdebesitzer vor der Entscheidung für einen ganzjährigen Weidegang haben, ist die Frage, ob das Verhalten ihres Pferdes vorhersehbar ist. Aus Erfahrung lässt sich sagen, dass dies oft nicht der Fall ist. Jedes Pferd reagiert anders auf die Umstellung zur Weidehaltung, und selbst Pferde, die als schwierig, temperamentvoll oder asozial galten, können auf der Weide plötzlich völlig neue Verhaltensweisen zeigen.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist die 17-jährige Stute Zoe. Zoe war in ihrer Box oft aggressiv gegenüber anderen Pferden und verteidigte ihr Territorium leidenschaftlich. Kein Pferd wagte es, sich ihr zu nähern, und sie galt als schwierig im Umgang mit Artgenossen. Als Zoe jedoch auf eine ganzjährige Weide gebracht wurde, änderte sich ihr Verhalten schlagartig. Bereits nach wenigen Tagen fand sie Anschluss zu einer anderen Stute und integrierte sich überraschend schnell in die gemischte Herde von 30 Pferden. Innerhalb von nur drei Wochen fühlte sich Zoe wohl, hatte Freundschaften geschlossen und zeigte keinerlei aggressives Verhalten mehr. Dieses Beispiel zeigt, dass man das Verhalten eines Pferdes nicht immer vorhersagen kann und dass auch schwierige Pferde auf der Weide oft ihre Persönlichkeit verändern.
Regelmäßige Pflege und Kontrolle – Der Schlüssel zum Erfolg
Der ganzjährige Weidegang erfordert mehr als nur das Freilassen des Pferdes auf die Weide. Eine kontinuierliche Überwachung und Pflege sind unerlässlich, um sicherzustellen, dass Dein Pferd gesund bleibt und sich wohlfühlt. Das umfasst nicht nur regelmäßige tierärztliche Untersuchungen, sondern auch die richtige Hufpflege und Zahnpflege, die auf der Weide oft vernachlässigt werden.
Gleichzeitig muss die Weide selbst in einem guten Zustand gehalten werden. Die Weidequalität beeinflusst direkt das Wohlbefinden Deines Pferdes. Eine Überweidung kann zu Nahrungsmangel führen, und unsaubere Wasserquellen oder schlecht entwässerte Böden können Gesundheitsprobleme verursachen. Daher ist es wichtig, dass die Weide regelmäßig überprüft und gepflegt wird.
Zusätzlich solltest Du sicherstellen, dass es ausreichend Schutzmöglichkeiten vor extremen Wetterbedingungen gibt. Besonders im Winter oder bei starkem Regen muss Dein Pferd die Möglichkeit haben, sich in Unterstände oder einen Laufstall zurückzuziehen, um sich vor Kälte, Wind und Nässe zu schützen.
Rekonvaleszenz und Auszeit – Zeit für Erholung
Nicht alle Pferde sind körperlich oder mental fit genug für einen ganzjährigen Weidegang. Für Pferde, die sich von Krankheiten oder Verletzungen erholen, ist eine solche Umstellung oft zu anstrengend. Eine spezialisierte Weide für Pferde in der Rekonvaleszenz oder Altersweiden können eine schonendere Alternative sein. Diese Weiden bieten den Tieren die Möglichkeit, sich in einer ruhigen Umgebung zu erholen, ohne den Stress einer großen Herde oder den Belastungen des Weidelebens ausgesetzt zu sein.
Wenn Dein Pferd älter ist oder spezielle Bedürfnisse hat, solltest Du in Erwägung ziehen, es auf eine Altersweide zu bringen. Hier werden die Tiere in kleineren Gruppen gehalten und erhalten eine intensive Betreuung und Überwachung, um sicherzustellen, dass sie die Pflege und Ruhe bekommen, die sie benötigen. Diese spezialisierte Form der Weidehaltung bietet eine sanftere und stressfreie Umgebung, in der Dein Pferd sich erholen und das Leben genießen kann.
Der ganzjährige Weidegang kann für viele Pferde eine wunderbare Möglichkeit sein, ein naturnahes und glückliches Leben zu führen. Doch nicht jedes Pferd ist dafür geeignet. Es ist wichtig, den individuellen Gesundheitszustand und die Bedürfnisse Deines Pferdes zu berücksichtigen und es langsam an die neue Lebensweise zu gewöhnen. Regelmäßige Pflege, Überwachung und tierärztliche Kontrollen sind entscheidend, um sicherzustellen, dass Dein Pferd die Weidehaltung gut verträgt und gesund bleibt. Ob jung oder alt – mit der richtigen Vorbereitung und Betreuung kann der 24-Stunden-Weidegang eine Bereicherung für das Leben Deines Pferdes sein. Und wie die Geschichte von Zoe zeigt, ist es oft unmöglich vorherzusagen, wie sich ein Pferd auf der Weide verhalten wird – manchmal wird selbst das schwierigste Pferd zur wahren Sozialexpertin.
Ich wünsche Euch viel Erfolg,
Claudia Beeli
Ferme de la Potte